Eigentlich wollte ich an dieser Stelle über Marokko berichten, aber die Corona Krise hat alles geändert. Ich bin quer durch Frankreich gefahren, um von Sete / Montpellier aus nach Marokko zu reisen. Am Tag der Abreise wurde die Fähre ersatzlos gestrichen und die Grenze nach Marokko war zu.
Ich war daher zunächst ziemlich geknickt und dachte als erstes daran, mich sofort wieder auf den Rückweg zu machen. Die Nachrichten wegen der Corona Krise wurden immer bedrohlicher: rasch steigende Krankheitsfälle und Tote, viele Einreisesperren. In Frankreich wurde eine Ausgangssperre verhängt. Alles wurde geschlossen: Campingplätze, Restaurants, Cafes, ganze Badeorte wurden komplett herunter gefahren und der Strand abgeriegelt. In den diversen Internetforen sammelten sich Berichte von gestrandeten und komplett verzweifelten Urlaubern. Manch einer war froh, gerade noch mit dem letzten Schiff aus Marokko rausgekommen zu sein. Ich weiss von Urlaubern, die den Rückweg quer durch Spanien und Frankreich in grosser Hektik nonstop innerhalb von 48 Stunden bewältigt haben.
Überall Panik, was also tun ?
Auf der anderen Seite hatte ich einen LKW dabei, der für mehr als einen Monat mit Vorräten ausgerüstet war. Inklusive einer top Reiseapotheke, genug Wasser, einem sehr bequemen Bett und komplett autarker Stromversorgung. Mit dem würde ich überall durchkommen. Daher dachte ich, dass ich mir die Gegend ja wenigstens einmal ansehen sollte, wenn ich schon Mal da wäre. In der Heimat würde mich schliesslich nur eine häusliche Quarantäne erwarten plus ganz erhebliche Beschwerden wegen der im April wütenden Birken Pollen, gegen die ich leider ziemlich allergisch bin. Von Montpellier aus sind die Pyrenäen (Berge = keine Birkenpollen, perfekt) nicht weit – und dahin machte ich mich daher auf.
Eine Entscheidung, die ich nicht bereuen sollte, denn die Pyrenäen sind im April / Mai eine traumhafte Gegend. Mit vielen Möglichkeiten, sich zu verstecken und eine tolle Zeit in der erblühenden Natur zu erleben.
Eine nüchterne Bestandsaufnahme der Situation speziell für die Pyrenäen erbrachte ausserdem folgendes: die Gandarmerie erzwingt zwar eine Ausgangssperre und überprüft das auch mit Rundgängen und Strassensperren, das Ansteuern eines Supermarktes oder die peu a peu Rückreise nach Deutschland sind aber okay. Kontrollen waren in dem weitläufigen Gebiet mit abgelegenen Dörfern und vielen Tälern allerdings selten.
Die Grenze von Deutschland nach Frankreich wurde gesperrt. Die einmal im Land vorhandenen Urlauber wurden jedoch nicht direkt zur sofortigen Ausreise aufgefordert.
Erwünscht war eine Isolierung und möglichst wenig sozialer Kontakt. Wer jedoch alleine irgendwo still parkt, kann sich weder anstecken noch irgend jemanden mit Corona infizieren. Der Meinung war auch die Gendarmerie, zu der ich gelegentlich Kontakt hatte. Ich hatte daher schnell raus, dass man während der Corona Krise in Frankreich geduldet wird, solange man sich unauffällig verhält, keine Ansprüche anmeldet und sich im grossen und ganzen an die Regeln hält. Dazu kommt noch, dass die Parkplätze nicht von der Gendarmerie, sondern von der französischen Mairie (= dem Bürgermeisteramt) überwacht werden – und die hatten allesamt zu.
Während der Ausgangssperre konnte man daher ungestraft und tagelang gratis auf öffentlichen Tagesparkplätzen (inklusive Wasseranschluss) übernachten, ohne ein Ticket zu riskieren.
Vernünftigerweise sollten diese gratis Parkplätze natürlich trotzdem abgelegen sein und die Anwesenheit keine allzu grosse Aufmerksamkeit erzeugen. Die Gendarmerie hat in Frankreich nicht den allerbesten Ruf. Wiederholt wurde ich gewarnt, ich könnte bei Verstössen auch rasch im Gefängnis landen, eine drakonische Geldstrafe kassieren und ähnliches. Mein persönlicher Eindruck war jedoch ein komplett anderer: ich hab die Gendarmerie stets als höflich, professionell, total nett und eher besorgt erlebt. Eine sofortige Abreise war niemals Thema. Statt dessen ging es eher darum, ob alles okay ist, genug Vorräte da sind oder ob ich eventuell Symptome hab. Es war stets Konsens, dass ein unauffälliger Aufenthalt alleine, daher das Verstecken in den Bergen, eine gute Strategie gegen eine Weiterverbreitung von Corona ist. Ausserdem hab ich gegenüber der Gendarmerie stets klar gestellt, dass ich bald peu a peu zurück reisen werde. Allerdings bekam ich schon zu hören, dass das tagelange parken im Halteverbot normalerweise nicht okay wäre. Nun gut, es gab während der Corona Krise neue Regeln, andere waren dafür ausser Kraft.
Als running gag hab ich es stets mit meinem schlechten Französisch probiert, um das endlich Mal zu entrosten.
Okay, keine Burgen, Schlösser, Restaurants und kein quirliges Strassenleben – echt schade in Frankreich. Aber dafür leere Strassen, top Parkplätze und ungestörte Wanderungen. Damit war ich einverstanden, denn das waren für mich gar nicht Mal so schlechte Aussichten.
In den Pyrenäen findet man jede Menge Aussteiger mit alternativen Lebenskonzepten. Die haben sich in einem auf ewig gestrandeten Campinganhängern eingerichtet oder sich eine einfache Hütte aus Baustellenresten errichtet. Ich bin dort einigen ausgewanderten Deutschen begegnet. In den Bergen bilden sich oft spontan Kommunen, die in schlachtreifen Transportern und ausgelutschten Bullis unterwegs sind. Echtes Vanlife, nur ohne Blog, Instagram und Amazon Affilate links, aber dafür immer mit 3 bis 5 Hunden pro Person. Die Pyrenäen haben viele Höhlen oder einfach nur Felsvorsprünge. Einige dieser Plätze sind in Behausungen mit outdoor Küche und einfachen Kaminofen verwandelt worden. Das wird von der Gendarmerie und der jeweiligen Kommune in der Regel geduldet. Die drücken beide Augen zu, sofern es keine Probleme gibt.
Wenn man in Rennes-le-Bains in den Bergen spazieren geht, wird man vielleicht eines Tages barfuss durch einen Bach waten, um auf der anderen Seite einem steinigen Weg und dem Duft blühender Baumheide zu folgen. Spätestens, wenn man oben auf dem Berg über ein Brett balanciert, welches einen ausgewaschenen Pfad repariert, weiss man, dass es zur gemütlichen Jurte von Marcus und Carol nicht mehr weit ist. Die beiden haben sich in den Bergen ein kleines Paradies geschaffen und leben dort mit ihren Kindern Anander (8) und Yatsib (3) in einer Waldhütte. Die Jurte hat Solarstrom und wird von einem riesigen Holzofen auf Temperatur gehalten. Beide Kinder helfen selbstverständlich beim Holzmachen oder dem gemeinsamen kochen mit – und verbringen den Tag meist in der Natur.
Ich hatte das Glück, diese sympathische Aussteigerfamilien kennen lernen zu dürfen: eines Tages hat mich Marcus unten auf einem Parkplatz entdeckt und einfach so eingeladen, mit ihm und seinen Kindern zum baden in einer heissen Quelle zu fahren. Die kommenden Tage haben wir viel Zeit miteinander verbracht: Wanderungen in den Bergen, wobei Marcus von echt magischen Plätzen wusste. Dazu Ausflüge zu Ruinen, Lagerfeuer oben in den Bergen, UNO spielen, musizieren, gemeinsam kochen, mit den Kinder spielen. Oder einfach nur ganz profan shoppen gehen. Oft haben wir den Abend in der heissen Quelle von Rennes-le-Bains ausklingen lassen, mit 42 Grad heissem Badewasser direkt am Fluss. Marcus ist jedenfalls einer der nettesten und entspanntesten Impfgegner, den ich jemals kennen gelernt habe. Ausserdem konnte er fliessend Deutsch.
So kann man die Corona Krise doch auch rum kriegen, hab ich oft gedacht, wenn ich von der heissen Quelle aus die langsam aufblitzenden Sterne am Abendhimmel beobachtet habe.
Anstatt wie ein Irrer nach Hause zu eilen.
Aber oft war während meines Urlaubs Improvisationstalent gefragt, denn die Läden hatten zu und auch grosse Supermärkte nicht immer das gewünschte.
Weiter gehts in Teil 2 !