Irgendwie lebe ich in einer komischen Welt, so bin ich letztens an folgendem Plakat vorbei gekommen:
Dort hat ein glücklich aussehender Dreikäsehoch eine Smartwatch am Arm, die inklusive Vertrag von der Telekom beworben wird. „Smart und sicher“. Mama darf dabei aber ganz schön viel. Die Uhr ermöglicht eine ständige Überwachung vom Standort inklusive Geofencing. Verlässt der Sprössling die „sichere Zone“, wird das auf dem Handy der überwachenden Eltern angezeigt. Die Uhr kann man durchaus abschalten, aber spontane Ausflüge, Plan Änderungen oder nicht Erreichbarkeit sollten wohl am besten mit dem Besitzer vom Elternhandy abgeklärt werden.
Die Uhr hat eine Telefon Funktion, aber nur für Kontakte, die von den Eltern festgelegt werden. Anrufe vom lästigen Ex lassen sich ebenso verhindern wie Anrufe oder Verabredungen mit Spielkameraden, die man aus irgend welchen Gründen für „nicht geeignet“ hält.
Und wenn Mama anruft, sollte der Bildschirm wohl besser so aussehen, wie ich es hier künstlerisch umgesetzt hab:
Ich frage mich: wie viel Kontrolle brauchen Kinder ? Sorgt so eine Uhr nicht auf subtile Art und Weise dafür, dass Kinder unselbstständig bleiben ? Eltern haben die Aufgabe, ihre Kinder zu beschützen. Aber wenn die Mama ständig Schwierigkeiten aus dem Weg räumt lernt das Kind nicht, Probleme selber zu lösen. Schlechte Erfahrung ist unangenehm, kann einem jedoch beibringen, was man für sich selber nicht möchte. Das Kind könnte mit so einer Kinder Smartwatch mit direktem Draht zu den Eltern jedoch lernen, dass man Probleme am besten mit einem Anruf bei Mama löst – und die kümmert sich dann darum. Gewisse überbesorgte Helikopter Eltern könnten schnell in diesen Mechanismus verfallen.
Ein weiterer Punkt ist, dass so eine Uhr trügerische Sicherheit vorgaukeln könnte. Bei ernsthaften Schwierigkeiten kann weglaufen am besten sein – und nicht erst Mal Mama anrufen.
Soweit zu meinen Bedenken. Wir haben die Smartwatch dann in der Familie ausprobiert, wozu meine 18-jährige Tochter, meine Ex und ich selbst zur Verfügung standen. Um uns gegenseitig zu tracken.
Wer sich für die Einrichtung und die einzelnen Funktionen interessiert: inzwischen ist eine ausführliche Anleitung fertig.
Anleitung für Einrichtung & Setup der Xplora x5 Smartwatch
Wichtigste Funktion: Ortung vom Kind. Ein Test.
Die Ortungsfunktion wird dem Käufer einer Xplora X5 wahrscheinlich am wichtigsten sein. Die Standortbestimmung ist punktuell sehr präzise. Sie setzt aber voraus, dass die Xplora App geöffnet ist und man ständig auf aktualisieren drückt. Ausserdem muss die Uhr zwingend am Arm getragen werden. Im Rucksack verstaut ist der GPS Empfang nicht ausreichend genug. Am Arm war die Ortung aber genau genug um zu verfolgen, dass sich Mia nach der Schule an der Strassenecke vor der Schule noch längere Zeit aufgehalten hat. (Ich als Papa: „was macht die da nur die ganze Zeit ? Knutscht die mit Jungs ?!?“). Später war erkennbar, dass Mia langsam zu Fuss Richtung Zuhause unterwegs ist und das Fahrrad schiebt. Sie hatte sich den Weg mit einem Freund ohne Fahrrad geteilt.
Einen Streckenverlauf bekommt die Uhr dagegen nur schlecht hin. Ich hatte die Smartwatch dabei, als ich in Kirchheimbolanden meinen (erneut) umgebauten LKW abgeholt hab: die Reise dahin in der Verspätungsbahn wurde nur als Verbindung der zwei Punkte Hannover und Frankfurt erfasst. Von den zwei Stunden Zwangssaufenthalt im Verspätungsbahnhof Mainz (Anschlusszug verpasst, ungewollt) ist in der Auswertung nichts zu sehen. Auch in Kirchheimbolanden wurde der lokale Verspätungsbahnhof, die Werkstatt, die Fahrt mit dem Truck zur Tankstelle und anschliessend der Nachtparkplatz nur als vier Punkte, verbunden mit geraden Linien aufgezeichnet.
In Kirchheimbolanden war der LKW eingefroren und die Kabine erst Mal drei Stunden an der Steckdose. Dieser zeitliche Aufenthalt auf dem Werkstattgelände geht aus der Aufzeichnung auch nicht hervor.
Spontan tracken funktioniert daher, den ganzen Tag nachverfolgen eher nicht. Ich weiss nicht, ob mich dieser Mangel ärgern soll – oder ob ich mich vielleicht freuen sollte, dass Orwells Vision einer totalen Überwachung nicht in Form einer Xplora X5 passieren wird.
Es ist (zum Glück) nicht möglich, das Mikro oder die Kamera einzuschalten, um das Kind komplett auszuspionieren. Ein wiederholtes orten der Uhr wird dem Träger der Uhr allerdings auch nicht angezeigt.
In der Xplora App kann man Zonen definieren, in denen sich das Kind bewegen darf. Die Umsetzung ist rein technisch betrachtet nicht besonders gelungen. Denn es lassen sich nur Punkte festlegen, deren Umkreis von zum Beispiel 300 Metern als „sichere Zone“ gilt.
Diese kreisrunden Zonen können sich auch nicht überschneiden.
Wird die „sichere Zone“ verlassen, läuft in der Xplora App eine Nachricht auf, allerdings kein Alarm. Und die App muss (wie bei der Ortungsfunktion auch) dafür geöffnet und im Vordergrund sein.
Korridore, in denen sich das Kind zum Beispiel von Zuhause zur Schule begibt und zurück kann man daher nicht einzeichnen. Was bei näherer Überlegung vielleicht ganz gut ist, ich persönlich sehe das Vorhaben der Kinder Verdongelung per Smartwatch ja durchaus kritisch.
Chat Funktion – Whatsapp light, aber nur mit Mama
In der Uhr ist eine Chat Funktion eingebaut, mit der man Smilies, vorgegebene Textbausteine und Sprachnachrichten austauschen kann. Insbesondere die Sprachnachrichten sind eine einfache und kindgerechte Möglichkeit, per Smartwatch Lebenszeichen an die Eltern zu versenden. Uns hat diese Funktion ziemlich gut gefallen. Der Lautsprecher in der Uhr ist gut genug, Sprache in nicht allzu lauten Alltagsumgebungen gut verständlich wieder zu geben.
Die vorgegebenen Textnachrichten fand ich befremdlich. Textbausteine im Elternhandy wie „Wann kommst du nach Hause“ und „Hab dich lieb“ lassen vermuten, dass Xplora beim Design an klammernde Eltern gedacht hat. Die ihr Kind am liebsten gar nicht vor die Tür lassen würden. Das Kind kann dann mit „Hab dich lieb“ oder „komme gleich nach Hause“ antworten. „Ich bin mit einer sowjetischen Kugelstosserin durchgebrannt“ kann man leider nicht als Antwort eintippen. Es gibt auch nicht die Möglichkeit, gesendetes nachträglich zu korrigieren oder zu löschen.
Die Möglichkeit, Sprachnachrichten zu versenden und sogar kleine Videoschnipsel sind dagegen ein kleines Highlight und super umgesetzt. Vor ein paar Jahren wäre sowas Bestandteil einer Geheimagentenuhr gewesen, nun tragen es Kinder am Armgelenk.
Weiterer Nachteil: der Chat ist zentralisiert und findet ausschliesslich zwischen dem Mama Handy und der Kinder Uhr statt. Das Kind kann weder mit seinen Geschwistern chaten, noch mit Klassenkameraden, den Grosseltern oder Freunden. Immer nur mit dem Mama oder Papa Handy. Ein recht kleines „soziales Netzwerk“, an dem Kinder vermutlich schnell den Spass verlieren.
Meine Kinder haben schon früh mit Whatsapp gechatet. Töchterchen Mia hatte Anno 2010 als eins der ersten Kinder ein Nokia E71 mit echter Tastatur. Mit dem damals auf Symbian OS basierenden Gerät war nur Whatsapp möglich, sonst nichts. Weder Videos liefen auf der kleinen CPU noch konnten massenhaft Apps installiert werden. Nokia war einfach nicht so clever wie Apple. Das war damals vorteilhaft für mich, aber zusammen mit Blackberry waren sie dann natürlich fix abserviert.
Whatsapp hatte damals früh einen enormen Mehrwert für uns. Um Kontakt zu halten, zur Familien Koordination, Einkaufslisten, festhalten von Weihnachtswünschen, für Belangloses, um bei Bedarf den Standort zu senden, um Urlaubs oder Tagesbilder zu tauschen. Ich hab erstaunt festgestellt, dass sich die Kinder in der Schule selbst organisiert haben: in Klassenchats ausdrücklich ohne Lehrer oder kleinen, geschlossenen Gruppen mit den allerbesten Freundinnen. Das hat erstaunlich gut ohne Erwachsene funktioniert.
Am Anfang (erstes Handy) hab ich allerdings die Bedingung gestellt, dass ich gelegentlich Mal gucken will, was da so bei Whatsapp läuft. Und ich hab meinen Kindern zwei Dinge beigebracht. Erstens: wenn man sich nicht persönlich gegenüber sitzt, können per Whatsapp geschriebene Sätze falsch verstanden werden. Zweitens: Konflikte grundsätzlich nicht mit Whatsapp lösen.
Etwas, was sogar ganz viele Erwachsene nicht können.
Display, Akku, Kamera
Leider hat die Uhr kein OLED Display, welches dauerhaft leuchtet. Um die Smartwatch zum Leben zu erwecken muss stets der kleine Einschalter an der Seite gedrückt werden. Das Display scheint vergleichsweise kratzfest zu sein. Jedenfalls widerstand es meinen Versuchen, kleine Kratzer mit einem scharfkantigen Messer reinzumachen.
Der Hersteller verspricht, dass die Uhr gegen das eindringen von Wasser geschützt ist. Meine Erfahrung aus der Zeit, als ich noch Handies repariert hab ist allerdings, dass man sich darauf nicht verlassen sollte.
Irgendwo dringt immer Feuchtigkeit ein. Also besser nicht in die Badeanstalt mitnehmen.
Der Akku hält einen ganzen Tag sicher durch, länger jedoch nicht. Daher muss die Uhr jeden Abend ans Ladekabel.
Die Kamera hat nur magere 2-Megapixel, die Qualität ist für den Zweck Kinder Smartwatch halbwegs okay. Auffallend ist, dass nur Selfie Bilder möglich sind. Kamera und Display zeigen in die gleiche Richtung. Nur mit etwas tricksen gelingen Aufnahmen der Gegend oder von Situation und Gegenständen.
Das Produkt Design ist leider so, dass die Mama das Gesicht vom Kind sehen kann (zum Beispiel ob irgendwo eine Schramme ist) und sonst nix. Schade, damit wurde eine Möglichkeit verschenkt, dem Kind eine einfache Kamera in die Hand zu geben, um kreativ tätig zu werden. Um Momente oder Spannendes festzuhalten, was das Kind gerade interessant findet.
Selbst gebasteltes USB Interface für die Xplora X5
Es gibt auf dem Markt nur reine Ladekabel (Plus/Minus) für die Xplora Smartwatch Familie, kein USB Kabel mit vier Adern. Daraufhin hab ich mir aus einem alten Nokia Handy und einem abgeschnittenen USB Kabel selbst eins gebastelt. Auf eine passende Platine mit Federkontakten wurde ein Kabel gelötet und das ganze mit einer Wäscheklammer auf der Uhr fixiert.
Ziel war es, an die Fotos ranzukommen um die zu begutachten und vielleicht Mal etwas Musik in die Uhr zu bekommen. Unter Umgehung der Xplora Chat App. Mit der hat das bei mir nämlich nicht funktioniert.
Tatsächlich meldet sich die Xplora Smartwatch als USB Stick und man kommt an die frei gegebenen Verzeichnisse einfach so ran. Mir ist unverständlich, warum Xplora nicht gleich ein gescheites USB Kabel beilegt. Damit könnte man Bilder bequem von der Uhr runterladen und idealerweise (dazu unten mehr) Musik in einem Rutsch rauf schaufeln.
Fotos liegen dann im Ordner DCIM. Verbaut ist ein W927 Modul von Kido, was nicht besonders lichtstark ist und Aufnahmen mit 720 x 720 fabriziert. GPS Daten werden leider nicht mit gespeichert (echt jetzt ? bei so einer Uhr ?) und aus mir unerklärlichen Gründen sind alle Aufnahmen spiegelverkehrt.
Im Ordner Ringtones lassen sich MP3 Schnipsel für alternative Klingeltöne ablegen. Den Klingelton kann man dann in den Einstellungen ändern. Nett.
Im Ordner Qihoolog schreibt die Smartwatch Log Dateien rein, wenn man das aktiviert hat.
Das geht so: in die Einstellungen gehen und ganz unten „über / about“ anwählen. Wenn man mehrmals auf „Version des Betriebssystembuilds“ clickt, erscheint ein Schalter, um das mitloggen zu aktivieren. Unter „IMEI“ ist ein zweiter Schalter, um die Netzwerkaktivität mitzuschneiden.
Mit Musik / MP3 hatte ich nach wie vor Pech. Die Xplora App ist bei dem Versuch, Musik per Chat zu verschicken reproduzierbar abgestürzt – und auch so gibt es dort die Grenze mit 5 MB. Manuell per USB verlegte Musik in den Ordner Music wurde von der Uhr nicht erkannt / abgespielt. Mist.
Fazit
Es hätte schlimmer sein können. Als ich die Uhr gekauft hab dachte ich, dass wir gesellschaftlich schon soweit sind, unsere Kinder permanent zu überwachen. Kinder, gechipt wie Kühe. Oder so wie Mitarbeiter in einem Callcenter. Mit eingezeichneten Korridoren. Keinerlei Freiräume mehr, perfekte Kontrolle. Irgendwie findet das niemand schlimm, ausser mir vielleicht.
Das von mir fotografierte Plakat verkauft den Eltern Kontrolle als Freiheit, wie bei George Orwell. Immerhin trägt das Kind die Uhr am Armgelenk – und nicht am Fussgelenk.
Ich bin noch in einer Zeit ohne Spielkonsolen, 800 Fernsehkanälen, Youtube und TikTok gross geworden. Im Sommer haben wir im Garten meiner Eltern als Kinder Verstecken gespielt und im Wald nebenan Hütten gebaut. Wenn wir Glück hatten, waren im Winter die Seen und Bäche in der Umgebung zum Schlittschuhlaufen zugefroren. Es war eine unbeschwerte Kindheit auf dem Land. Mit keinerlei Freizeitplanung, Technik und Kontrollen.
Eine GPS Uhr ist ein weiterer Baustein, Leistung und Zeit genau zu vermessen und Überraschungen nicht mehr zuzulassen. Auf dem Weg zur lebenslangen Selbstoptimierung, bis zur Rente mit 78, mit dauerhafter Leistungsüberwachung.
Ich frage mich, ob es richtig ist, Kinder ab 6 an so einen Lebensstil zu gewöhnen.